Materialentwicklung

Schneller, besser, bio: Neue funktionale Kunststoffalternativen

Forschung Kompakt /

Wie lassen sich neue biobasierte und biohybride Materialien mit verbesserten Funktionalitäten schneller entwickeln? Dieser Frage gehen im Leitprojekt SUBI²MA sechs Fraunhofer-Institute gemeinsam nach. Ein von Fraunhofer-Forschenden entwickeltes neuartiges und biobasiertes Polyamid dient dabei als Modell. Seine besonderen Eigenschaften machen es zu einer vielversprechenden Alternative für fossile Kunststoffe.

Monofilamente, Schäume und Kunststoffgläser aus Caramid
© Fraunhofer IGB
Monofilamente, Schäume und Kunststoffgläser aus Caramid.

Die Kunststoffindustrie ist im Wandel: Erdölbasierte Materialien sollen zunehmend durch nachhaltige Alternativen ersetzt werden. Doch Nachhaltigkeit allein reicht nicht – biobasierte Kunststoffe müssen mehr können. Im Leitprojekt SUBI²MA arbeiten Fraunhofer-Institute an einem Ansatz, um schneller neue Materialien zu entwickeln, die nicht nur umweltfreundlich, sondern auch funktional überlegen sind. Sie konzentrieren sich dabei auf drei Hauptziele: die Weiterentwicklung neuer biobasierter Materialien, neue biohybride Materialien und die digitale Fast-Track Entwicklung.

Biologische Bausteine mit Funktionsvorteil

Im Zentrum des Bereichs biobasierte Materialien steht Caramid, ein neues vollständig biobasiertes Hochleistungspolyamid auf Basis von Terpenen. Terpene sind natürliche organische Verbindungen, die in vielen Pflanzenteilen wie Blättern, Blüten und Wurzeln vorkommen, und die Hauptbestandteile von Harzen und ätherischen Ölen. So fällt der im Projekt verwendete Ausgangsstoff 3-Caren in SUBI2MA bei der Zellstoffproduktion in großen Mengen als Nebenprodukt an. Polyamide sind thermoplastische High-Performance-Kunststoffe – und Caramid hebt diese Klasse auf ein neues Niveau.

Forschende am Institutsteil Straubing des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB entwickelten die beiden Monomere, sogenannte Caranlactame, sowie die daraus hergestellten Polymere, die Caramide bereits vor etwa zehn Jahren. »Im Projekt SUBI2MA hat uns jetzt vor allem die gemeinsame Expertise von sechs Instituten ermöglicht, auf neue Weise zu denken, die Caranlactame zu skalieren und die Caramide zu optimieren und noch zielgerichteter für bestimmte Anwendungen zu entwickeln«, so Dr. Paul Stockmann vom Fraunhofer IGB.

Caramide haben aufgrund ihrer besonderen chemischen Struktur außergewöhnliche thermische Eigenschaften, die sie für zahlreiche Anwendungsgebiete interessant machen: von Zahnrädern im Maschinenbau über Sicherheitsglas, Leichtbaupanele, Schäume und Schutztextilien bis hin zu chirurgischem Nahtmaterial. Mittlerweile konnten Monofilamente, Schäume und Kunststoffgläser aus dem neuen Polyamid gefertigt werden. Neben seiner Hochtemperaturstabilität ist es sehr wandelbar: »Im Laufe des Projekts stellte sich heraus, dass die beiden Caranlactam-Monomere zu unterschiedlichen Caramiden führen, die sich deutlich in ihren Eigenschaften unterscheiden«, erklärt der Forscher. »So eignet sich Caramid-S aufgrund seiner Teilkristallinität für Fasern und Caramid-R aufgrund seiner sogenannten Amorphizität, also unregelmäßigen Struktur, für Schäume.«

Eine weitere Eigenschaft ist die sogenannte Chiralität, eine räumliche Besonderheit von Molekülen, bei der zwei Strukturvarianten existieren, die spiegelbildlich, aber nicht deckungsgleich sind. Diese kann die physikalischen, chemischen oder biologischen Funktionen eines Materials beeinflussen. So können bei Caramid die Materialeigenschaften feiner gesteuert werden, etwa für spezielle Anwendungen in der Medizintechnik oder Sensorik. »Indem wir biobasierte Bausteine in Hochleistungspolymere integrieren, kommt ein Funktionsvorteil zustande. Caramide sind demnach nicht nur biobasiert, sondern zeigen sogar eine bessere Performance als fossilbasierte Materialien«, resümiert Stockmann.

Biohybride Materialien

Das zweite Ziel umfasst die Entwicklung neuer biohybrider Materialien. Die Integration funktionaler Biomoleküle verleiht hierbei altbekannten Materialien neue Funktionen. Die Anwendungsbereiche sind vielfältig und reichen von biobasierten Flammschutzmitteln für Werkstoffe bis hin zu Additiven bzw. Enzymen, die den Abbau von erdölbasiertem PET beschleunigen. Faserverbundwerkstoffe, in denen Biomaterialien eingebunden werden, und Diagnostiktools wie neuartige Biosensoren sind weitere Einsatzfelder.

»Eine wichtige Funktion, die durch die Integration spezieller Proteine ermöglicht wird, ist die Hydrophobierung von Materialien, also die gezielte Veränderung einer Materialoberfläche, sodass sie Wasser abweist«, erklärt Ruben Rosencrantz, Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP. Solche wasserabweisenden Materialien finden zum Beispiel in Arbeitsschutz- und Outdoor-Textilien oder medizinischen Anwendungen Einsatz und könnten langfristig umweltschädliche Stoffe wie PFAS ersetzen.

Digitalisierung als Turbo für die Materialentwicklung

Aus eigener Erfahrung wissen die Forschenden: Noch dauern die Materialentwicklung und -substitution lange und oft ist völlig ungewiss, für welche spezifischen Anwendungsgebiete das Material die besten Eigenschaften zeigt. Das wollen sie mit dem dritten Ziel, der Fast-Track-Entwicklung, ändern. Dazu digitalisieren sie die Materialentwicklung: »Wir schaffen simulationsgestützt und strukturiert digitalisiert eine umfassende Datenbasis im Labor«, so Frank Huberth vom Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM. »In dieser digitalen Wertschöpfungskette lassen sich durch die Verknüpfung mit datenbasierten Methoden und Simulation Eigenschaftsprofile und Nachhaltigkeit zukünftig früher abschätzen und damit Entwicklungszeiten für Materialien und Produkte deutlich beschleunigen.« Konrad Steiner vom Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM ergänzt: »Mit Hilfe digitaler Demonstratoren zum Beispiel für Schutztextilien und Reifen können wir Entwicklungsschritte einsparen und Einflüsse sowie Performance der neuen Caramidfasern frühzeitig bewerten, ohne aufwendig ein Textil oder einen kompletten Reifen produzieren und testen zu müssen.« 

Ausblick: Vom Labor in die Anwendung

Ein wichtiger Treiber bei der Konzeption war die gute interdisziplinäre Zusammenarbeit der sechs Fraunhofer-Institute IGB, IAP, IWM, ITWM sowie für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF, für Chemische Technologie ICT und einem externen Unterauftragnehmer im Projekt. So konnte etwa eine große Hürde, die Skalierung der Syntheseprozesse, gemeinsam genommen werden und die beiden Monomere lassen sich mittlerweile im Kilogramm-Maßstab herstellen. Eine finanzielle Aufstockung im Leitprojekt erlaubt es jetzt zusätzliche industrietaugliche Demonstratoren teilweise direkt in Kooperation mit der Industrie zu erproben. Dabei sollen die Monomere demnächst einem assoziierten Industriepartner zur Verfügung gestellt werden, der das Ausgangsmaterial auf seinen Anlagen für eine konkrete Anwendung verarbeitet. »Dies ist ein entscheidender Schritt, um die marktreife Entwicklung der Caramide voranzubringen«, sagt Stockmann abschießend. »Das Projekt zeigt, wie moderne Materialentwicklung funktionieren kann: biobasiert aus Nebenströmen, digital und interdisziplinär.«