Künstliche Haut mit natürlichen Blutgefäßen

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Die Neubildung von Blutgefäßen, die Angiogese, spielt in der Medizin eine große Rolle. In ihrer Diplomarbeit am Fraunhofer IGB untersuchte Silke Kersen, wie Blutgefäße in künstlicher Haut entstehen könnten. Sie schuf das erste humane 3-D-Hautmodell, in dem sich bereits kapillarähnliche Strukturen bilden.

Silke Kersen, Hugo-Geiger-Preisträgerin 2005.
In der In-vitro-Haut bilden Endothelzellen kapillarähnliche Strukturen (braun) aus.

Tierversuche werden vermehrt durch pharmakologische Tests an Geweben ersetzt, die im Labor gezüchtet wurden. Parallel dazu werden die künstlichen Gewebe immer komplexer, was auch der Transplantationsmedizin zugute kommt. Bestand etwa künstliche Haut anfangs aus simplen Ansammlungen von Zellen einer Art, so lassen sich heute Modelle erzeugen, die die verschiedenen natürlichen Hautschichten nachbilden und zudem von kapillarähnlichen Strukturen – also Vorläufern von Blutgefäßen – durchzogen werden. Interessant sind solche Modelle auch für die Grundlagenforschung, können mit ihnen doch zentrale Fragen der Onkologie untersucht werden: Warum wächst das stark verästelte Blutsystem vieler Tumore so schnell und wie kann dies gebremst werden?

Am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrens-
technik IGB in Stuttgart wurde ein dreidimensionales Hautmodell entwickelt, aufgebaut aus zwei Zellarten menschlicher Haut, den Fibroblasten und Keratinozyten. Wie natürliche Haut verfügt die In-vitro-Haut über eine mehrschichtige Oberhaut und eine abschließende Hornschicht. Das 3-D-Hautmodell ist als Testystem etabliert, beispielsweise um die Verträglichkeit von neuen Kosmetika oder Chemikalien zu untersuchen. Auch Studien zur Wundheilung sind möglich, wenn man der Haut eine Verletzung zufügt.

Während ihrer Forschungszeit am Fraunhofer IGB gelang es Silke Kersen, dieses dreidimensionale Hautmodell um Endothelzellen – die Zellen, die unsere Blutgefäße auskleiden – zu erweitern und kapillarähnliche Strukturen aufzubauen. »Das Problem bestand bisher darin, Endothelzellen in ihrer neuen künstlichen Umgebung zur Ausbildung kapillarer Strukturen zu stimulieren«, erläutert die Trägerin des zweiten Hugo-Geiger-Preises. »Beim richtigen Mix mikrovaskulärer Endothelzellen mit Wachstumsfaktoren und den Zellen, die gewebsstützende Substanzen bilden, wird hingegen die Angiogenese induziert und es wächst ein 3-D-Netzwerk – ganz ohne Hilfsmittel.«

Schließlich integrierte sie zusätzlich noch Hauttumorzellen in die künstliche Haut. Denn Tumorzellen bilden genau die Wachstumsfaktoren, die die Endothelzellen im Gefäßsystem zum Wachstum anregen. Die Teilung und Wanderung der Endothelzellen konnte so verbessert werden.

»Mit diesem In-vitro-Angiogenese-Modell können wir nun beispielsweise Inhibitoren der Angiogenese austesten und untersuchen, ob sich ihre hemmende Wirkung in der Tumortherapie einsetzen lässt«, sagt Heike Walles, Abteilungsleiterin am Fraunhofer IGB. Tumorzellen wachsen deshalb so gut, weil sie die Neubildung der Blutgefäße, die sie mit Nährstoffen versorgen, selbst auslösen können. »Von großem Vorteil gegenüber herkömmlichen Modellen ist, dass die Verwendung humaner Zellen die Übertragbarkeit auf den Menschen gewährleistet«, hebt Walles hervor.

Ein weiteres Ziel des Fraunhofer IGB ist es, das Modell für einen langfristigen klinischen Einsatz als Hauttransplantat mit einem eigenen Blutgefäßsystem weiterzuentwickeln. »Die Versorgung von Implantaten mit Blutgefäßen ist eine Grundvoraussetzung, um größere und tiefere Wundflächen abzudecken«, weiß Walles. Denn die physiologische Blutgefäßneubildung geht immer von den Wundrändern aus und ist bei großen und tiefen Wunden einfach nicht schnell genug.