Baden-württembergische Forschungsstrategie Bioökonomie

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Noch sind fossile Rohstoffe die weitaus wichtigste Basis für eine Vielzahl chemischer Produkte – von Kraftstoffen über Kunststoffe und Textilien, Schmier- und Baustoffe bis hin zu Kosmetika und Arzneimitteln. Doch fossile Ressourcen sind endlich und der Klimawandel sowie eine wachsende Weltbevölkerung stellen die Gesellschaft vor große Herausforderungen. Eine nachhaltige Lösung, die Ernährung der Menschheit zu sichern, erneuerbare Ressourcen für die Rohstoff- und Energieversorgung zu nutzen und gleichzeitig das Klima und die Umwelt zu schonen, verspricht die biobasierte Wirtschaft, kurz Bioökonomie.

Bioökonomie im System

Einer konsequenten Durchgängigkeit von der Grundlagenforschung über die anwendungsorientierte Forschung bis hin zur industriellen Umsetzung neuer Verfahren und Produkte kommt in diesem Umfeld eine besonders große Bedeutung zu. Grundprinzipien für eine funktionierende Bioökonomie im System erfordern vorrangig die Nutzung regionaler Stärken. Gleichzeitig hat eine angepasst strukturierte Ausbildung von Wissenschaftlern, die bereits im Studium an die ganzheitliche Betrachtung und systemorientierte Lösung komplexer Probleme herangeführt werden müssen, einen besonders hohen Stellenwert. Die Vereinbarung wissenschaftlicher Kompetenz mit einer ressourcenschonenden, ethisch vertretbaren und effizienzorientierten, ökonomischen Sichtweise dient damit als Basis für eine nachhaltige Prosperität.

Strategiekreis für Baden-Württemberg

Als Mitglied des ersten BioÖkonomieRats der Bundesrepublik leitete Prof. Dr. Thomas Hirth im Auftrag des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK) Baden-Württemberg den Strategiekreis »Bioökonomie im System aufstellen«. Vertreter aller im Kontext Bioökonomie aktiven Universitäten erarbeiteten unter seiner fachlichen Leitung ein umfassendes Forschungskonzept, um das Thema Bioökonomie als festen Bezugspunkt in der baden-württembergischen  Wissenschaftslandschaft sichtbar werden zu lassen und als Zukunftsstrategie zu etablieren. Im Juli 2013 verabschiedete dieser Kreis ein Strategiepapier und definierte darin bereits konkrete Handlungsfelder für die bioökonomische Forschung in Baden-Württemberg. Diese Empfehlungen fanden bei Wissenschaftsministerin Theresia Bauer großen Anklang. Der Ministerrat beschloss auf Grundlage dieses Konzepts ein neues Forschungsprogramm Bioökonomie für Baden-Württemberg mit einem Gesamtvolumen von 12 Mio € für den Zeitraum 2014 – 2019.

Umfassendes Forschungskonzept

Kernpunkt der Forschungsstrategie ist es, die Bioökonomie in Wertschöpfungskreisläufen und als Gesamtsystem zu betrachten. Hierzu identifizierte der Strategiekreis unter den zahlreichen Forschungseinrichtungen im Land alle, die sich mit relevanten Themen beschäftigten, und brachte sie schon frühzeitig mit ausgewiesenen Experten aus Wirtschafts-, Ethik und Sozialwissenschaften an einen Tisch. So wurden von Anfang an gleichberechtigt soziale, ökonomische und politische Rahmenbedingungen sowie die Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft berücksichtigt. Aus ca. 180 ausgewiesenen Einzelkompetenzen von 24 Universitäten, Hochschulen für angewandte Forschung und nichtuniversitären Forschungseinrichtungen leitete das Expertenteam sieben wissenschaftliche Kernbereiche für Baden-Württemberg ab. Diese Gruppen agierten in einer Struktur von Angebot und Nachfrage. So wurden auf Seiten der Angebote die Forschungsbereiche Agrar- und Pflanzenwissenschaften, Forstwissenschaften, aquatische Biomasse sowie biogene Reststoffe als die wichtigsten, und auf der Nachfrage- / Verwertungsseite Anwendungsfelder wie Nahrungsmittelproduktion, im Nachgang eine stoffliche Nutzung sowie die energetische Nutzung von Reststoffen identifiziert. Als Querschnittsbereiche für eine daraus resultierende Kompetenzmatrix wurden Biodiversität, Wasser- und Bodenschutz, Ethik sowie Wirtschafts- und Sozialwissenschaften benannt.

Auf Basis einer Datenerhebung und deren eingehender Analyse identifizierte der Strategiekreis drei Forschungsfelder, welche mithilfe einer entsprechenden Forschungsförderung schon bald in Baden-Württemberg, aber auch über seine Grenzen hinaus, sichtbare Impulse für Forschung und Wirtschaft geben können. Das Konzept fokussiert sich auf drei Forschungsfelder – Biogas, Lignozellulose und Algen – und leitet gleichzeitig auch strukturelle Maßnahmen ab, um Baden-Württemberg als innovative Bioökonomie-Region zu profilieren und nachhaltig zu stärken.

Fokus auf Biogas, Lignozellulose und Algen

Erste bioökonomische Systemansätze im Forschungsfeld »Biogas«, für das im Land bereits entlang der gesamten Wertschöpfung wissenschaftliches Know-how vorhanden ist, können dem Konzept zufolge eher kurzfristig umgesetzt werden. Im Forschungsfeld »Lignozellulose«, charakterisiert durch eine Vielzahl an Einzelkompetenzen mit breit gefächertem Wissensspektrum, müssen vorhandene Kompetenzen zunächst noch stärker gebündelt und vernetzt werden, sodass hier eine mittelfristige Umsetzung realistisch ist. Den höchsten Innovationsgrad und daher eine eher langfristige Perspektive schreibt das Konzept dem Forschungsfeld »Nutzung von Mikroalgen« zu. Mikroalgen wirtschaftlich im Sinne einer Bioraffinerie, das heißt im Sinne einer integrierten stofflichen und energetischen Nutzung zu produzieren und vielseitig zu verwerten, steht hier als angestrebtes Ziel im Vordergrund. Die Auswahl der drei genannten Schwerpunkte mit ihren Unterthemen ermöglicht im nächsten Schritt eine Vielzahl völlig neuartiger Kombinationen vorhandener wissenschaftlicher Kompetenzen und zeigt damit großes Innovationspotenzial für den Standort Baden-Württemberg.

Strukturelle Maßnahmen

Drei Maßnahmen schlägt der Strategiekreis hierzu vor: Ein Kompetenzzentrum zur Modellierung und Simulation von bioökonomischen Systemen, ein gemeinsames Graduiertenprogramm, um Bioökonomie von Anfang an in der Ausbildung von Doktoranden zu verankern und ein Infrastrukturnutzungskonzept, um Großgeräte und technisch aufwendige Ausstattung zukünftig ressourcenschonend gemeinsam zu nutzen. Mit seinen vielfältigen Kompetenzen und Erfahrungen im Spannungsfeld Bioökonomie konnte das IGB selbst viele neue Impulse geben und eröffnet damit seinen Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft Perspektiven für Innovationen über die Grenzen Baden-Württembergs hinaus.